Dass der Ölpreis schon seit Monaten deutlich fällt, ist wie so vieles auf die Corona-Krise zurückzuführen. Nachdem der Preis für die Nordseesorte Brent am 6. Januar – dem Tag des Anschlags auf den Iranischen General Soleimani – noch ein Hoch von ca. 71,50 USD erreichte, ist er am 22. April bereits unter 16 USD gefallen. Das ist ein Minus von über 77 Prozent in weniger als 5 Monaten! Damit gehört der aktuelle Preisverfall auch zum größten in der Geschichte des Öls.

Kursverläufe WTI und Brent Öl / Quelle: Bloomberg, eigene Darstellung / Stand: 21.04.2020

Der Futuremarkt spielt verrückt

Der Terminkontrakt (Future) des Monats Mai der US-Ölsorte WTI (Western Texas Intermediate) fiel am 20. April sogar auf bis zu -37 USD. Sie haben richtig gelesen: MINUS 37 US-Dollar. Doch wie kann das überhaupt gehen? Erst wurden hochsolvente Schuldner für die Kreditaufnahme bezahlt und jetzt kann man Öl erwerben und wird dafür noch bezahlt? Verrückte Finanzwelt! Sowas hat es in der Finanzgeschichte tatsächlich noch nicht gegeben und stellt eine Besonderheit des Terminmarktes dar. An den Terminmärkten für Rohstoffe sichern sich Produzenten (bspw. Ölförderer oder Landwirte) und Verbraucher (bspw. Fluggesellschaften oder Nahrungsmittelhersteller) gegen Preisschwankungen ab. Kontrahenten an diesen Märkten verpflichten sich, eine festgelegte Menge einer Ware wie Öl zu einem festgelegten Zeitpunkt zu kaufen (Long) oder zu verkaufen (Short). In diesen Märkten sind seit bereits vielen Jahren auch Finanzmarktakteure aktiv, die auf die Rohstoffpreise spekulieren. Diese sind i.d.R. nicht an der physischen Auslieferung des Rohstoffs interessiert, weshalb sie die Kontrakte vor ihrer Fälligkeit entweder glattstellen (liquidieren) oder auf den nächsten Monatskontrakt „rollen“. Entweder haben dies nun einige Spekulanten vor der Fälligkeit des Mai WTI-Futures am 21. April nicht getan oder sie haben schlichtweg keinen Kontrahenten gefunden, da der Markt illiquide war. Da die Öllager in den USA, vor allem das größte in Cushing, Oklahoma derzeit zum Bersten voll sind, haben die Spekulanten keine Möglichkeit dieses Öl nach der Lieferung zu lagern. Und ein Gut, welches man weder gebrauchen noch lagern kann ist nun mal wertlos.

Corona-Krise lässt Nachfrage kollabieren – Preiskrieg entfacht

Die Ölnachfrage ist aufgrund des Lockdowns durch die Corona-Pandemie massiv eingebrochen, dennoch wird weiter munter Öl gefördert. Die Anlagen können nicht von jetzt auf gleich abgestellt werden und Russland und Saudi-Arabien haben einen Preiskrieg vom Zaun gebrochen – auch wenn sie sich zuletzt auf eine 10 Mio. Barrel pro Tag Kürzung einigen konnten, was im aktuellen Umfeld nur ein Tropfen auf den heißen Stein ist. Es ist davon auszugehen, dass sie dies tun, um die amerikanischen Schieferölproduzenten (Fracking) aus dem Markt zu drängen. Diese können bei einem Ölpreis von unter 40-50 USD nicht profitabel wirtschaften, während es in Saudi-Arabien lediglich um einen ausgeglichenen Staatshaushalt geht. Viele Fracking-Unternehmen haben sich allerdings in den letzten Jahren hoch verschuldet, weshalb sie weiter fördern müssen, um Liquidität zu generieren und um ihre Schulden bedienen zu können.

Hier wird es in den nächsten Monaten höchstwahrscheinlich zu diversen Insolvenzen kommen. US-Präsident Trump kündigte bereits an, dass der Staat hier unterstützen müsse, da an der Industrie viele Arbeitsplätze hingen (betroffen ist vor allem seine Wählerschaft) und die Industrie wichtig für die US-Wirtschaft sei. Außerdem wolle er die strategischen Ölreserven des Staates weiter auffüllen. Bei den Hilfsmaßnahmen bleibt jedoch abzuwarten, wie bei allen staatlichen Rettungsprogrammen, wen diese genau erreichen. Zumeist sind es die größeren Unternehmen, die gerettet werden, während die kleineren untergehen bzw. von den großen zu Spottpreisen übernommen werden (Stichwort „Too Big To Fail“). Hier kann also mit einer Konsolidierungswelle in den nächsten Monaten gerechnet werden. Die großen Anbieter wie Exxon und Chevron könnten demnach von diesem Ölcrash langfristig sogar noch profitieren. Ebenfalls profitieren ölimportierende Länder (wie v.a. China, Indien, Japan) und andere ölverarbeitende Wirtschaftssektoren wie der Chemiesektor. Negativ betroffen sind vor allem ölexportierende Schwellenländer wie Nigeria, Brasilien, Mexiko und weitere Staaten des nahen und mittleren Ostens, deren Währungen zu denen der Entwicklungsländer seit Jahresanfang teils stark abgewertet haben.

Von wieder steigenden Ölpreisen profitieren

Wer als Privatanleger auf eine Erholung des Ölpreises setzen will, sollte die Finger von Exchange Traded Commodities lassen, bei denen die Terminmarktkurve eine wesentliche Rolle spielt (untere Grafik), da diese ETCs ebenfalls über Derivate in die Märkte investieren. Hier erleidet man derzeit hohe Rollverluste, aufgrund der hohen Differenz der Preise der einzelnen Futurekontrakte. Wer als Vermittler ausgewählten Kunden dennoch ETCs oder Zertifikate ins Depot legen möchte, muss im Haftungsdach der Stufe 3 sein (119 Euro mtl.).

Besser eignen sich hier – vorausgesetzt der Umweltgedanke spielt eine untergeordnete Rolle – Fonds oder ETFs (Exchange Traded Funds/Indexfonds), die in die Aktien der globalen Ölförderer (neben Exxon und Chevron z. B. BP, Total und Shell) investieren, wie der „Lyxor MSCI World Energy TR UCITS ETF“ (LYX0GK – EUR, thesaurierend) oder der „BlackRock Global Funds – World Energy Fund A2“ (A0BMA5 – EUR, thesaurierend). Außerdem kann der russische Aktienmarkt interessant sein, der zu ca. 60 Prozent aus Energiefirmen (Öl- und Gas) besteht. Von uns empfohlene Fonds sind hier der passive „Xtrackers MSCI Russia Capped Swap UCITS ETF 1C“ (DBX1RC – USD, thesaurierend) oder der aktive „BNP Paribas Funds Russia Equity C“ (A1T8Z2 – EUR, thesaurierend). Der Aktienmarkt Russlands ist zudem einer der günstigsten weltweit.

Futures WTI / Quelle: Bloomberg, eigene Darstellung / Stand: 22.04.2020

Bewertungen auf historisch attraktiven Niveaus
Die Ölfirmen bieten derzeit (noch) hohe Dividendenrenditen, was so jedoch nicht mehr lange Bestand haben dürfte. Immerhin werden viele Ölfirmen die Dividenden aufgrund der einbrechenden Cashflows senken müssen. Sie bieten jedoch derzeit einen gewissen Sicherheitspuffer, denn der Sektor handelt unter seinem Buchwert und deutlich unter seinem Preis/Buchwert-Verhältnis der letzten 10 Jahre. Die fundamentalanalytische „Value“-Kennziffer alleine gibt jedoch keine verlässliche Auskunft über die zukünftige Werthaltigkeit einer Investition und muss in Verbindung mit weiteren Parametern (zukünftig erwartete Cashflows, Marktmacht und Markteintrittsbarrieren, nicht „anfassbare“ Werte wie Rechte, Lizenzen, Patente und Know-How, Management, usw.) angewandt werden. Das Verhältnis der Marktkapitalisierung des MSCI World Energy Index zum MSCI World Index ist ebenso auf ein Allzeittief von unter 3 Prozent gefallen.

Bewertungskennziffern MSCI World Energy Sektor / Quelle: Bloomberg, eigene Darstellung / Stand: 21.04.2020

Kursverläufe MSCI World Energy und MSCI World / Quelle: Bloomberg, eigene Darstellung / Stand: 21.04.2020

In erneuerbare Energien investieren

Wem der Umweltgedanke am Herzen liegt kann nichtsdestotrotz – zumindest indirekt – von steigenden Ölpreisen profitieren. Und war über Aktienfonds, die in Unternehmen investieren, welche im Bereich der erneuerbaren Energien tätig sind. Denn steigt der Preis für Öl, Gas und andere umweltbelastende Rohstoffe wie Kohle, sind die Opportunitätskosten der erneuerbaren Energien höher und ihr Einsatz lohnt sich mehr. Von uns empfohlene Fonds sind hier der „Lyxor New Energy UCITS ETF“ (LYX0CB – EUR, ausschüttend) und der aktiv gemanagte „Nordea 1 – Global Climate and Environment Fund AP-EUR“ (A14YP2 – EUR, ausschüttend), welcher sich auch auf unserer TopFonds Liste befindet. In unserer Fondsvermögensverwaltungsstrategie BfV Futuretrends sind wir hier ebenfalls investiert, derzeit mit 7 Prozent.

Wie geht es weiter?

Die nächsten Wochen und Monate bleiben weiter spannend im Ölmarkt. Wo wird sich ein Boden herausbilden? Werden sich die OPEC+-Länder und vor allem Saudi-Arabien und Russland auf weitere Förderkürzungen einigen? Wer werden die Gewinner und Verlierer des US-Fracking Busts sein und wie stark wird die Nachfrage nach Öl nach dem Corona-Lockdown wieder anziehen? Für die breite Wirtschaft und die Verbraucher ist der niedrige Ölpreis jedenfalls ein Segen, der sich positiv auf ihre Geldbeutel auswirkt. Da Energie- und Benzinpreise recht große Anteile an den Berechnungskörben der Konsumentenpreise – also der Inflation – haben, werden wir in den nächsten Monaten verstärkte deflationäre Tendenzen sehen. Den Zentralbankbürokraten ist Deflation bekanntermaßen ein Dorn im Auge und sie wollen eine Teuerungsrate von 2% erzeugen. Daher wären weitere geldpolitische Experimente möglich, was nach denen der letzten Wochen allerdings kaum noch vorstellbar ist. Sicher ist nur: Öl wird auch in Zukunft weiter eine wichtige Rolle in der Weltwirtschaft spielen und geopolitische Spannungen der entsprechenden Teilnehmer wird es wohl leider weiterhin geben, wie es schon seit Jahrzehnten der Fall ist.

Über den Autor

Thilo Cammann

Thilo Cammann fungiert als Ansprechpartner für unsere PRIVATE INVESTING-Strategien und unsere Advisor. Weiterhin unterstützt er das Investment Research, schreibt das monatliche Investment Radar und verantwortet das ETF-Research.